Die Ballade vom großen Durst

Kurt Halbritter

Bilder und Verse zur Enzyklopädie der Bierflasche (Gebundene Ausgabe)
Zum Teil sind die von der Binding Brauerei in den 60er Jahren auf ihren Bierdeckeln abgebildeten Zeichnung in dem Buch veröffentlicht. Es reizt zum Schmunzeln über die Sinnsprüche der Bierdurstigen.



Unaufhörlich rinnt das Wasser,
flüssig, spritzig und gewandt
als ein ausgesprochen nasser
heitrer Aggregatszustand.
Wasser ist der Welten reger
Lebens- und Ideebeweger.

Wasser wechselt, ein Mäander:
kaum gefunden, kaum vereint,
fließt es wieder auseinander,
Sozietät ist gut gemeint.
Nur Gefühle von Phantomen
regen sich in den Atomen.

Nichts verliert sich so im Sande,
keines Stoffes Eigenschaft
ist so gut dazu imstande,
mit geheimer Wirkungskraft
aufzutauchen, zu verschwinden
und ein Neues zu entbinden.

Wasser trinken gern die Tiere,
für den Mesnchen besser sit
Wasser, aufgebraut im Biere,
weil er sonst den Rausch vermißt.
Wasser, Hopfen, Gerstenmalz
rinnen rasch durch seinen Hals.

Doch der Mensch setzt dem Gefühle
klug entgegen seinen Kopf.
Daß die nassen Moleüle
sich vertragen Tropf bei Tropf,
schuf er gegen dieses rasche
Auseinanderfliehn die Flasche.

Bambusrohr und Kürbispflanze,
Ton und Steingut, formgemäß,
sie umhüllten einst die ganze
Feuchtsubstanz als Hohlgefäß.
Aber schließlich, blase! blase!
kam die Flasche aus dem Glase.

Blase, Glas- und Flaschenbläser,
blas nur zu an deinem Platz,
blase Flaschen, blase Gläser,
blase Bauch und Halsansatz!
Blase, blase, laß jedoch
oben zum Genuß das Loch!

Höchstes Stück aus Stahl und Asche,
preßgeformt aus Kieselfluß,
ist die Pfand- und Standardflasche
mit dem Hebeldruckverschluß.
Und sein Leben lang kann kein
Mensch mehr ohne Flasche sein.

Ringsherum im Weltgetriebe
tönt ein lautes Wehgeschrei.
Fromme, Brave, Mörder, Diebe:
Seufzen, Stöhnen, vielerlei.
Ja, in allen Lebenslagen
hört man jammervolle Klagen.

Halbritter, Kurt. - München : Hanser, 1983 Halbritter, Kurt. - München : Heyne, 1985, Genehmigte, ungekürzte Taschenbuchausg.